Workshopreihe “Gender und Humor”
von Mario Huber und Maria Piok
Vergleicht man die von unterschiedlichen Disziplinen wie der Anthropologie, Psychologie, Linguistik und den Literatur- und Kulturwissenschaften betriebene, sehr umfangreiche Forschung zu den transdisziplinären Phänomenen Gender und Humor, dann lässt sich schnell ein verbindendes Moment herausstellen. Einerseits sind sowohl Fragen zum sozialen Geschlecht als auch Reaktionen auf Komisches auf vielfältige Weise mit gesellschaftlichen Normen, Institutionen und Symbolen verbunden. Andererseits wird in beiden Bereichen neben der Beschreibung von hegemonialen Diskursen der Beobachtung von partikularen Ausformungen besonderer Raum gegeben.
Sowohl der makroskopische als auch der mikroskopische Blick zeigen die vielschichtige Kodierung von Genderzugehörigkeit und Humorpräferenzen: Herkunft, ethnische Zugehörigkeit, Alter, institutionelle Machtverhältnisse oder religiöse Einstellungen beeinflussen unsere zeit- und ortsgebundenen Vorstellungen von (in)akzeptablen Ausprägungen des sozialen Geschlechts (Chiaro und Baccolini 2014: 2) ebenso wie des persönlichen Humors (Kapitza 2017: 134ff.).
Wie eng Gender und Humor darüber hinaus miteinander verknüpft sind, zeigt z.B. ein Artikel der taz aus dem Jahr 2020. Unter dem Titel „Ein ganz altes Lied. Lisa Eckhart und der Antisemitismus“ liefert die nichtbinäre Journalistin Hengameh Yaghoobifarah einen Beitrag zur regen Diskussion um die streitbaren Arbeiten der österreichischen Kabarettistin. Yaghoobifarah sieht die Voraussetzungen für Eckharts Aussagen u.a. in ihrer komplexen Bühnenpersona:
„Lisa wer? Ihr Name klingt wie die irrelevante Alman-Mitschülerin mit überhöhter Selbstwahrnehmung von früher. Geladen mit High-School-Bully-Energy besitzt sie das nötige Pretty-Privilege, um mit den Styles vom Anfang des letzten Jahrzehnts davonzukommen. Ich spreche nicht nur von ihrem Look – irgendwo zwischen Versace for H&M und Hetera, die die Garderobe ihrer lesbischen Mitbewohnerin kopiert –, sondern auch von ihrer künstlerischen Ästhetik.“ (Yaghoobifarah 2020: s.p.)
Eckharts ästhetische Bühnenpraxis ist Yaghoobifarahs Ansicht nach stark von einer eklektischen Mischung aus symbolisch aufgeladenen milieuspezifischen Kodierungen, kollektiven Identitätsmustern, ethnischer Zugehörigkeit, herrschenden Schönheitsidealen und genderstereotypen Ausdrucksformen geprägt. Der „Erfolg“ von Eckharts Humor, so die Essenz des Artikels, lässt sich nur dann verstehen, wenn ihr Aufgreifen und gleichzeitiges Karikieren von stereotypischen Rollenzuschreibungen mitreflektiert wird.
Jenseits dieser gleichermaßen polemischen wie differenzierten Betrachtung der Verschränkungen von künstlerischem Ausdruck und geschlechtlicher Performativität sind die Verwerfungslinien im oft noch binären Diskurs mitunter gravierend. Nicht nur, dass sich im Diskurs weiterhin das Vorurteil hält, dass Frauen keinen Humor hätten. Darüber hinaus gehen in der alltäglichen Kommunikation und in Arbeiten vieler Künstler:innen nach wie vor große Teile der Witze auf Kosten der Frauen. Männer scheinen nach wie vor größere Freiheiten beim Ausleben ihres Humors zu haben, wohingegen für Frauen anscheinend weniger Subjekthaftes vorgesehen ist (Kotthoff 2017: 147f.).
Diesen sehr ernüchternden Statements kann aber entgegengehalten werden, dass sich in den letzten Jahren sowohl beim Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor als auch bei diversen Spartenpreisen der internationalen Comedy- und Kabarettszene ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis bei den Preisträger:innen beobachten lässt. Damit kann mittlerweile nicht mehr behauptet werden, dass „weiblicher Humor in der Kunstproduktion verhältnismäßig selten registriert wird oder seine Orte meist verborgen bleiben“, wie Friedrich W. Block noch 2006 im Band Komik, Medien, Gender einleitend festgestellt hat (Block 2006: 13).
Für die Workshop-Reihe ist von besonderem Interesse, wie sich Vorstellungen und Lebenspraxis des sozialen Geschlechts und Humorkonventionen in künstlerischen Arbeiten aufeinander beziehen. Folgende Fragen bilden den Ausgangspunkt für die Überlegungen:
· Wie wird Geschlecht in komischen Praktiken performiert und rezipiert – Wer erzählt und wer hört zu?
· Welche Funktion(en) erfüllt der Humor (bzw. das zu erwartende Lachen) in künstlerischen Arbeiten, die sich mit Geschlecht auseinandersetzen?
· Welche Stereotype (oder Hypertypisierungen) von „Männlichkeit“, „Weiblichkeit“ oder „Queerness“ finden sich in medialen Produkten – und welche werden wie sanktioniert?
· In welcher Weise werden Geschlechterkonstruktionen und -zuschreibungen durch Humor (de)maskiert?
· Welche diskriminierenden oder aufklärerischen Funktionen kann Humor bei Fragen der Geschlechtsidentität haben?
· Lassen sich tatsächliche Unterschiede darin feststellen, wie Männer, Frauen oder nichtbinäre Personen Humor herstellen („doing“ gender vs. „doing“ humor)?
· Welche Formen von asymmetrischen Machtstrukturen lassen sich bei dem Zusammenspiel von Gender und Humor beobachten?
· Welche Rolle spielt nach wie vor das Aussehen der Künstler:innen in komischen Praktiken?
Der Workshop-Reihe besteht aus eintägigen Arbeitstreffen mit Rahmenprogramm, bei denen anhand der Vorträgen der Teilnehmer:innen und den anschließenden Diskussionen ein differenziertes Bild über das Verhältnis von Gender und Humor gewonnen werden soll.
Workshops
Rechtzeitig zum Faschingsbeginn fand am 11. November 2022 in Graz der erste Workshop statt. Ziel der von Mario Huber (Zentrum für Kulturwissenschaften) ausgerichteten Veranstaltung war es, die vielfältigen Beziehungen zwischen sozialem Geschlecht und Humor im deutschsprachigen Raum in den Blick zu nehmen. Teilnehmer:innen der Universität Graz, dem Innsbrucker Zeitungsarchiv, dem Innsbrucker Brenner-Archiv, dem Literaturhaus Wien, dem Archiv der Zeitgenossen in Krems an der Donau und dem Österreichischen Kabarettarchiv in Graz widmeten sich dabei vor allem dem Kabarett und der Comedy seit den 1980er Jahren. Die Vorträge und anregenden Diskussionen zeigten, dass sich mit dem Fokus auf Gender und Humor zwar eine Vielzahl an interessanten künstlerischen Lebensläufen und Werken finden lassen, die deutschsprachige akademische Beschäftigung mit diesen aber noch nicht weit gediehen ist und ein Aufholbedarf z.B. mit Blick auf den englischsprachigen Raum besteht.
Eine Folgeveranstaltung wurde deshalb schnell angedacht und fand am 11. Oktober 2024 unter dem Titel „Medien – Gender – Humor“ im Literaturhaus am Inn in Innsbruck statt. Organisiert von Maria Piok (Brenner Archiv), Ulla Ratheiser (Institut für Anglistik), Veronika Schuchter (Institut für Germanistik) und Verena Sperk (Institut für Erziehungswissenschaft) widmet sich der zweite Workshop den medialen Verstrickungen von sozialem Geschlecht und Humor. Mit Teilnehmer:innen aus Innsbruck, der Universität Graz, und dem Schweizerischen Literaturarchiv in Bern standen vermehrt Phänomene des Internets und der Sozialen Medien in Mittelpunkt. Gerahmt wurde das Programm von einer Lesung von Barbi Marković und einer Performance von Denice Bourbon, einer der Initiator:innen des politically correct comedy club (pccc*) aus Wien.
Die nächste Veranstaltung unter dem Titel „Queerness und Humor“ ist für den Herbst 2026 in Krems an der Donau geplant.
Quellen
Block, Friedrich W.: Einleitung. In: Komik, Medien, Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums. Hg. v. Friedrich W. Block. Bielefeld: Aisthesis 2006, S. 7–17.
Chiaro, Delia/Baccolini, Raffaella: „Humor. A many gendered thing”. In: Gender and humor. Interdisciplinary and international perspectives. Hg. v. Delia Chiaro und Raffaella Baccolini. New York: Routledge 2014, S. 7–20.
Kapitza, Arne: „Komik, Gesellschaft und Politik“. In: Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hg. v. Uwe Wirth. Unter mitarb. v. Julia Paganini. Stuttgart: Metzler 2017, S. 134–147.
Kotthoff, Helga: „Humor und Geschlechterverhältnisse“. In: Komik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Hg. v. Uwe Wirth. Unter mitarb. v. Julia Paganini. Stuttgart: Metzler 2017, S. 147–159.
Yaghoobifarah, Hengameh: „Lisa Eckhart und der Antisemitismus: Ein ganz altes Lied“. In: Die Tageszeitung vom 3. Mai 2020, online; https://taz.de/Lisa-Eckhart-und-der-Antisemitismus/!5679755/
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Tagungsbericht mit Programm zur Veranstaltung in Graz: https://networks.h-net.org/node/79435/discussions/11813860/tagb-gender-und-humor-graz-11112022
Tagungsprogramm zur Veranstaltung in Innsbruck: https://www.uibk.ac.at/de/events/info/2024/workshop-medien-gender-humor/